Julias Beerdigung

 

Julia wurde am Dienstag, den 17.10.2006, auf dem Neuen Friedhof in Hessisch Lichtenau beigesetzt. Es waren unglaublich viele Jugendliche dort, so dass viele Trauergäste vor der Friedhofshalle stehen mussten.

Die Trauerfeier wurde durch Pfarrer Johannes Barth geleitet. Jener Pfarrer, der sie 18 Monate bereits zuvor in Velmeden konfirmiert hatte. Es war uns ein großes Bedürfnis, Julia nach ihrem Umzug nach Föhren, sowie dem damit verbundenen Schulwechsel nach Hessisch Lichtenau nicht noch durch einen ihr unbekannten Pfarrer der fremden Erde übergeben zu müssen.

Während der Trauerfeier wurde das Lied "Dieser Weg" von Xavier Naidoo mehrfach in Bezug zum Text angespielt. Auf dem Weg zum Grab wurde von Rihanna "Unfaithfull" gespielt. Beide Lieder hat Julia gerne gehört. Am Grab spielte ihr Cousin Michel mit Unterstützung seines Musiklehrers auf der Posaune das Lied "Amacing Greace" für seine Lieblingscousine.

Pfarrer Johannes Barth hat für diesen Trauerfall seinen geplanten Urlaub unterbrochen, uns durch die Trauer begleitet und für die Trauerfeier den nachfolgenden Text verfasst:

 


 

 

Liturgische Texte und Ansprache zur Trauerfeier von Julia Letzing (17.10.2006)

Gehalten von: Pfr. Johannes Barth

 

·        Psalm:  Nach Psalm 22 und  einem Gebet von D. Bonhoeffer

Mein Gott, ich bin ganz allein; hast du mich denn vergessen?

Gott, kann ich zu dir beten?

Hörst du mich?

Ich rufe und schreie!

Keiner kommt und hilft.

 

Mein Gott, ich bin ganz allein; hast du mich denn vergessen?

Gott, ich rufe, wenn es hell ist.

Antwort höre ich nicht.

In der Nacht finde ich keine Ruhe.

 

Mein Gott, ich bin ganz allein; hast du mich denn vergessen?

Ich wende mich zu dir.

Verlass mich nicht, mein Gott!

Erhör doch mein Gebet!

So komm doch, Gott und hilf!

- - -

Mein Gott, in mir ist dunkel, aber bei dir ist Licht.

Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht.

Ich bin mutlos, aber du hilfst mir.

Ich bin unruhig, aber du schenkst mir Frieden.

In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld.

Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für mich.

AMEN

 

·        Ansprache:

Liebe Familie Letzing, liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde!

„Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer“, so das Lied von Xavier Naidoo.

Bei der letzten Konfirmation habe ich über dieses Lied gepredigt.

Es war nicht die Konfirmation  von Julia, aber ich bin darüber erschrocken, wie das Lied unter den Umständen heute wirkt und wie dieses Lied eine ganz neue traurige Wahrheit zutage fördert.

„Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer“ – so geht es uns allen.

 

Erschrocken stehen wir da und müssen mit Julia diesen schweren Weg gehen.

Die Gedanken wie ein riesiger Knoten verheddert in Trauer und Entsetzen.

Der Kopf voller Fragen an Gott, die fast immer mit diesem bohrenden Warum anfangen:

Warum das alles?

Warum jetzt?

Warum sie?

Und die Antwort bleibt aus.

 

Die erste Zeit kam mir alles wie ein falscher Film vor.

Und noch immer sind Momente da, wo ich denke:

„Das kann einfach nicht sein!“

Als ich in Julias Zimmer noch das Handy blinken sah – voll auf Empfang.

Die Anziehsachen und Schulsachen gerade in Erwartung der Ferien abgelegt.

 

Es wird noch viele Momente geben, wo wir sie erwarten werden.

In der Schule, wo sie ihren Platz hatte.

Beim Chatten, wo sie sich sonst immer eingeloggt hat.

Ja, und vor allem Zuhause, wo sie sich ihr Zimmer neu eingerichtet hatte.

 

Aber wie in einem falschen Film werden wir dann wieder erschrocken aufwachen und merken:

Nein, Julia ist wirklich tot.

 

Mir ging es so beim Anblick der Blumen und Briefe an der Unfallstelle.

Da kam die traurige Gewissheit:

Sie wird nicht wiederkommen, sie wird nicht auf einmal vor mir stehen.

 

So wird dieser Weg kein leichter sein.

Weder in den nächsten Tagen und Wochen, noch vor allem für Sie, liebe Familie Letzing in den nächsten Jahren.

Dieser Weg wird kein leichter sein, aber wir gehen ihn zusammen.

Wenn ich Sie und Euch alle hier sehe, dann ist das neben meiner Hoffnung auf Gott meine Zuversicht, dass wir gemeinsam diesen traurigen Weg gehen – eben keiner allein.

 

Und ich vermute, genau so wäre auch Julia jeden harten Weg angegangen – gemeinsam in der Clique, mit Freundinnen und Freunden, gemeinsam mit Mama und Papa, Kai, Daniela und Saskia.

In der Gemeinschaft können wir uns stützen, wo einer allein an diesem Weg zu zerbrechen droht.

 

Ich selbst kann solche schweren Wege – vor allem heute - auch nur in Gemeinschaft gehen, in der Gemeinschaft mit Menschen, aber auch nur in der Gemeinschaft mit Gott.

Und genau diese Gemeinschaft mit Gott erkenne ich in einem Spruch aus dem Johannesevangelium.

Dort sagt Petrus zu Jesus in Kap. 6 Vers 68:

 

 „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!“

 

„Herr, wohin sollen wir gehen?“ – so empfinde ich unsere Ratlosigkeit und unsere Fassungslosigkeit angesichts des plötzlichen Todes von Julia.

Durch Julias Tod erscheint auch unser eigenes Leben auf einmal sinnlos und fragwürdig.

 

Aber bei der Frage bleibt es nicht.

Du, Gott, Du, Jesus hast  Worte des ewigen Lebens.

Ja, und das möchte ich angesichts von diesem sinnlosem Tod erleben.

Ich möchte Worte des Lebens für mein Leben hören und haben.

Und ich möchte auch für Julia Worte des Lebens, des ewigen Lebens haben.

 

Worte des Lebens – Julias Leben hatte davon einen großen Reichtum.

Zwar habe ich Julia nicht als eine laute und dominierende Person kennen gelernt, aber Ihre Lebendigkeit hat sie auf ihre Art an den Tag gelegt:

Beim Chatten fand sie zu vielen unter uns Worte des Lebens und der Lebendigkeit.

So schnell flogen ihre Finger über die Tasten.

Ob im Popeye oder in der Eisdiele – sie war gern mit Menschen zusammen.

Gespräche und Reden, ob eher Schwätzchen oder ein vertrautes Gespräch – Worte des Lebens, das war ein Stück weit Julias Leben.

Und im vertrauten Kreis und Zuhause konnte sie auch deutlichere und hartnäckigere Worte  finden – so haben Sie es mir erzählt.

 

Und in all dem habe ich Julia als eine ausgeglichene und freundliche Konfirmandin erlebt.

Wie viele von Euch Mitschülern hatte sie die gleichen Interessen:

Interesse an Musik oder „Shoppen-Gehen“ in Kassel, an Kirmes- und Fetenfeiern hier und dort.

Sie war froh darüber, eine gute Gemeinschaft zu haben,  in Velmeden, in Großalmerode an der Schule.

Und besonders hat sie sich über die gute Aufnahme jetzt in der neuen Klasse in Heli gefreut.

 

Und unsere Trauer heute zeigt doch eigentlich auch, wie sehr sie eingebunden war in die Gemeinschaft, wie sehr sie zu uns gehört.

So danken wir Gott für fröhliche und unbeschwerte Stunden mit ihr.

 

Zuhause haben Sie als Eltern noch manches mehr mit Julia erlebt.

Ob im Alltag oder am Wochenende, jeder von Ihnen war auf ihre und seine Weise für Julia da.

Wir danken Gott für die Liebe, die Sie untereinander gelebt haben.

 

Gerade diese Erinnerungen machen uns den abrupten Verlust deutlich.

Eben auch das, was unvollendet blieb.

Sie hatte noch so viel vor sich!

 

In unserem Schmerz fragen wir:

„Herr, wohin sollen wir gehen?“

 

Ich hoffe darauf, dass wir - vielleicht noch nicht heute, dann aber später - uns auf diese Antwort einlassen können:

„Du, Gott hast Worte des ewigen Lebens!“

Und vor Gott damit auch unseren Schmerz und unsere Wut bringen können über diesen Unfalltod.

Dass wir unsere Trauer bei Gott herauslassen können und von ihm Worte des Lebens empfangen.

Denn trotz aller Verbitterung jetzt ... sollen wir leben!

 

Gott will, dass wir leben und so viel sagt mir auch mein Glaube:

Gott will auch, dass Julia lebt!

 

So lasst uns unsere Herzen Gott gegenüber öffnen und ihm unser Herz ausschütten.

Ihm erzählen von den schönen und schweren Momenten mit Julia, ihm klagen unsere Wut und Fassungslosigkeit über diesen Unfall.

Und lasst uns darauf setzten, dass er Worte des Lebens für uns hat.

 

Worte des Lebens?

Für manch einen mag das ein Spruch aus der Bibel sein.

Für einen anderen die Umarmung eines Freundes.

Für wieder einen anderen die Gewissheit, dass bei Gott mit dem Tod nicht alles aus ist.

 

So lasst uns auf Worte des Lebens achten.

Lasst uns diese Worte des Lebens aus Gottes Hand nehmen und sie weitergeben.

Dann wird vielleicht auch das wahr, was Xavier Naidoo singt:

„Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.“

Und weiter:

„Dieses Leben bietet so viel mehr“:

„Manche lieben dich, manche segnen dich, manche geben sich für dich auf.“

So lasst uns hören und selbst reden Gottes Worte des Lebens!

AMEN

 

·        Gebet:

Herr, unser Gott, wir hängen an dem verzweifelten Wunsch, es möge nicht geschehen sein, was geschehen ist.

Du bist uns fremd geworden – so fremd wie die Tage nach diesem Tod.

Wir hoffen, dass wir dabei nicht stehen bleiben, dass es nicht so leer in uns bleibt.

Und so bitten wir dich:

Bring uns über Trauer und Verzweiflung hinaus, damit wir uns nicht selbst an dieser Dunkelheit aufreiben.

Bring uns das Leben zurück, in Julia und in uns.

 

Noch ist Julia uns so nahe, mit ihrer ruhigen Art, mit ihrem Lachen, mit ihrem Aussehen.

Dieses Leben hatte noch so viel vor sich.

Werden wir die Kraft finden, loszulassen und selber weiterzugehen?

Wenn wir im Abgrund der Trauer versinken, dann hol uns heraus.

Wisch ab unsere Tränen und gib unseren Seelen eine Atempause auf diesem schweren Weg.

Gib uns eine Gemeinschaft, in der wir auf Deine Worte des Lebens hören und sie auch weitergeben.

 

Erbarme dich auch der anderen Menschen, die an diesem Unfall beteiligt waren.

Sei Ihnen nahe.

Hilf trotz unserer Wut zu vergeben, so wie du vergibst.

 

Wir wollen auch danken für die Begegnungen und Momente mit Julia, die für uns ein großer Reichtum waren.

Wir vertrauen sie nun dir an, weil wir nicht mehr weiterwissen.

Vollende Du, was unter uns zerbrochen ist.

So schenke uns und Julia den Frieden, der im Moment so weit von uns weg ist.

AMEN